Einmal bei einem NBA-Spiel live vor Ort dabei zu sein – das wünschen sich viele Basketball-Fans, die noch nicht die Möglichkeit hatten, in die USA zu reisen, oder, falls sie doch schon dort waren, passende Tickets zu ergattern. In Zeiten von Corona und einer Liga, die sich ohne Fans und möglichst ohne Kontakt nach außen in Disney World verschanzt hat, ist dieser Wunsch natürlich fast unmöglich in die Tat umzusetzen – aber eben nur fast. Die NBA, bekanntlich nie um neue Ideen verlegen, hat sich etwas einfallen lassen, um zumindest ein ganz klein wenig Stimmung in die Hallen zu bugsieren: Virtual Seats.
Statt physisch in die Halle zu kommen und sich mit mehreren tausend anderen gegenseitig die Aerosole um die Nasen zu pusten, können Fans jetzt dennoch live vor Ort beim Spiel dabei sein, nur eben von zu Hause aus. Möglich machen das riesige Bildschirme in den Hallen, Videokonferenz-Software und eine (hoffentlich) stabile Internetverbindung. Aber von vorne:
„Was Paul Pierce, Shaq und Lil‘ Wayne können, kann ich schon lange!“, dachte ich mir kürzlich. Vielleicht nicht zwingend auf dem Court oder am Mikro (wobei man darüber im Falle von Herrn Weezy sicher diskutieren könnte), dafür aber im Hinblick darauf, dass alle drei schon im Laufe der Orlando-Bubble als virtuelle Fans courtside gesessen waren. Warum also nicht selbst mal dabei sein? Kurzum: Ich habe mich hingesetzt und ausklamüsert, wie sich das anstellen ließe, und siehe da: Jedes NBA-Team, das in Orlando am Start ist, macht das offensichtlich anders. Einige Franchises vergeben die virtuellen Sitzplätze an die eigenen Season Ticket Holder, andere an ehemalige Spieler oder Promis. Wiederum andere bieten ihre freien Plätze via nba.com an und eine vierte Gruppe schließlich wickelt das Ganze direkt über die eigenen Homepages ab.
Ich habe mich über nba.com sowohl bei den Indiana Pacers beworben als auch bei den Dallas Mavericks. In deren Fall lief das direkt über deren eigene Homepage. Bei beiden Bewerbungen ging es nur um die noch ausstehenden Seeding Games. Schwierig war das indes nicht. Bei beiden Bewerbungen waren nur wenige Felder ausfüllen, nämlich Vorname, Nachname, E-Mail-Adresse und Geburtsdatum – zack, fertig und abgeschickt!
Da das nächste verfügbare Spiel bereits in Kürze stattfand, kam bereits 1–2 Tage später schon die E-Mail der Indiana Pacers ins Haus geflattert. Ich sollte also dabei sein beim Match gegen die Orlando Magic. Zugegeben – mit der überbordenden Vorfreude auf einen physischen Besuch einer NBA-Arena konnten meine Gefühlslage nicht ganz mithalten, dennoch war ich höchst gespannt, wie das Ganze ablaufen würde.
Der Tip-Off war für Mitternacht deutscher Zeit angesetzt. In der E-Mail der Pacers stand, dass man sich ab spätestens 23:30 Uhr, also 30 Minuten vor Spielbeginn, per Microsoft Teams in einem Online-Meeting einfinden sollte und die Plätze in der Reihenfolge vergeben würden, in der man dem Meeting beitrete. Also schwupps die App runtergeladen und installiert. Ich loggte mich an besagtem Abend bereits um 23:20 ein und kam direkt in einen virtuellen Videoraum mit anderen Teilnehmern und einem Admin. Dieser Admin wies jedem Teilnehmer einen Sitz zu. Ich bekam prompt ein Plätzchen in der unteren Sitzreihe, was ich schon mal ziemlich gut fand. Im Rahmen dieses Meeting waren übrigens 32 Virtual Seats enthalten bzw. zu besetzen und ich habe auch das ganze Spiel über nur diese 31 Fans in der Microsoft-Teams-App gesehen. Von diesen Videomeetings werden übrigens mehrere nebeneinander auf den großen Bildschirmen der Halle gezeigt, so dass zumindest ansatzweise der Anschein einer Crowd auf den Rängen erweckt wird.
Vorab erklärte der Admin, dass man sich an die Regeln zu halten habe und entfernt werden könnte, sollte man gegen diese verstoßen. Natürlich waren diese Regeln weder besonders schwer einzuhalten noch zu verstehen, aber wir schreiben nun mal das Jahr 2020 … na ja, ihr wisst was ich meine. Die Vorgaben z.B.: Keine Werbung (also bspw. nicht die eigene Coladose ins Bild halten), nichts Anzügliches, keine Drogen nehmen und immer nur eine Person vor der Kamera. Ebenso solle man für Besuche der heimischen Toilette oder das Konsultieren des Kühlschranks bitte die Pausen nutzen und nach Möglichkeit nicht während des Spiels den Bildschirm verlassen. Ein Sitz, der zehn Minuten leer sei, könne vom Admin durch einen anderen Fan neu besetzt werden – Pech gehabt. Ebenso wurde erklärt, wie man sich das Ganze auf Split-Screen einstellt, so dass man auf der einen Seite des Bildschirms sich und die 31 anderen Teilnehmer sieht und auf der anderen Seite parallel das Spiel schauen kann.
Natürlich läuft die Übertragung des Spiels sowie die Organisation in Microsoft Teams in Echtzeit ab und ich muss sagen: Das Ganze hat auch überraschend gut funktioniert. Als der Referee den Ball in die Luft warf, war natürlich erstmal das große Suchen angesagt, denn niemand wusste, auf welchem Platz sein virtuelles Alter Ego eigentlich saß und auf welchem Platz dort. Ich hatte Glück: In meinem Fall war es, wie erhofft, der mittlere Video-Würfel, leicht links der Mittellinie ganz unten.
Eines ist an dieser Stelle festzuhalten: Selbstverständlich ersetzt das alles, so witzig es auch ist, kein Stadion-Erlebnis. Wer genau das erwartet, muss wohl noch ziemlich lange warten (f**k Corona). Aber es war wirklich nochmal um einiges cooler, als z.B. ein Spiel alleine zu Hause auf der Couch zu schauen. In den Pausen war stets etwas los, weil zusammen mit den 31 Kollegen auf dem (Split-) Screen schlicht ordentlich Stimmung entstand. Abgesehen davon waren ja ausschließlich Pacers-Fans am Start (wie viele davon habt ihr so in eurem Bekanntenkreis?) und die waren nach dem Spiel und dem eingetüteten Win natürlich alle in bester Stimmung und am Jubeln – da kommt man eigentlich ganz automatisch in Fahrt und macht mit. Zudem schaut man natürlich immer mal wieder in der Übertragung nach, ob die eigene Visage nicht gerade prominent über den Bildschirm flimmert, was die ganze Chose natürlich noch einen Ticken spannender macht und einen, zumindest geht es mir so, in ständige, leichte Aufregung versetzt.
Da ich ja mehr oder weniger perfekt platziert war, war ich auch einige Male recht prominent zu sehen. Zwar habe ich mir das Spiel bisher nicht nochmal angesehen, werde das aber auf jeden Fall die Tage nachholen.
Der ganze Spaß endete schließlich nach drei Stunden Videokonferenz gegen 2:30 Uhr. Was mich letztlich fast ein bisschen überrraschte: Ich bin nicht einmal wegen technischer Probleme oder ruckeliger Internetverbindung rausgeflogen, da ist man von Skype und Konsorten teilweise anderes gewohnt. Zwar bin ich ein paar Mal aufgestanden und habe den Bildschirm bzw. das Sichtfeld der Kamera verlassen, das aber nie länger als fünf Minuten, sodass ich stets „meinen“ Platz ganz vorne wieder bekam. Meine „Mitstreiter“ waren aber nicht alle so diszipliniert wie ich. Wie man es aus den Übertragungen zur Genüge kennt, waren hier und da auch mal Plätze leer. Einige davon wurden auch von jemand Neuem belegt.
Ein paar grundlegende Dinge noch zum Schluss: Die Teilnahme ist kostenlos, an technischem Equipment sind neben einer stabilen Internetverbindung lediglich ein Desktop-PC/Mac/Notebook mit Microsoft-Teams-App (ebenfalls kostenlos) und eine eingebaute oder externe Webcam von Nöten. Der Link für das Meeting kommt per Mail. Eigentlich dachte ich, dass irgendeine Art von Personen-Check oder ähnlichem durchgeführt würde, schließlich könnten ja theoretisch alle möglichen Irren dieser Welt ihre Virtual Seats für ihre Zwecke nutzen – aber Pustekuchen.
Wenn ihr mich fragt: Ich würde das jederzeit wieder machen. Wenn man sich das für die Playoffs und Finals vorstellt, ist die ganze Geschichte natürlich nochmal mindestens eine Nummer geiler als Fan. Schließlich weiß man, dass dann noch wesentlich mehr Menschen aus aller Welt zuschauen und sich vielleicht – ganz vielleicht – wundern, wieso der Typ ganz vorne in der ersten Reihe, leicht links der Mittellinie ganz unten, so merkwürdig schaut. 😉
Alles in allem eine wirklich coole Erfahrung – gerne jederzeit wieder!
Euer Alex (@alex_hussen24)